Johann Sebastian Bach
Weihnachtsoratorium
BWV 248, Teil IV-VI
Pfarrkirche St. Heinrich Paderborn
Freitag , 9. Dezember 2016
19.30 Uhr
Pfarrkirche St. Heinrich
Nordstraße 3, 33102 Paderborn
Ausführende
Hayat Chaoui | Sopran |
Evelyn Krahe | Alt |
Stephen Chambers | Tenor |
Fabian Kuhnen | Bass |
Nathanael Amrany | Oboe d\’amore I |
Joachim Rau | Oboe d\’amore II |
Jessica Hill | Horn I |
Sundolf Waltemate | Horn II |
Andreas Adam | Trompete I |
Anne Heinemann | Trompete II |
Felix Hirn | Trompete III |
Eugenia Graur | Violine |
Thomas Brogsitter | Violine |
Marion Vetter | Violoncello |
Andreas Jung | Kontrabass |
Olaf Bade | Fagott |
Hye Ryung Lee | Orgel, Cembalo |
Nordwestdeutsche Philharmonie
Städtischer Musikverein Paderborn
Einstudierung und Leitung: Marbod Kaiser
Zum Werk
Bach hat seine Veronung der Weihnachtsgeschichte Weihnachtsoratorium genannt. Und mit der durchgehenden Handlung und der musikalischen Gliederung in Rezitative, Arien, Ensembles und Chorsätze weist das Werk auch typische Merkmale der Gattung auf. Legt man allerdings die gängige Definition für Oratorium zugrunde, dann ist der Begriff nicht ganz zutreffend: So ist das Weihnachtsoratorium nicht betont dramatisch angelegt, sondern eher von lyrischem Charakter. Bachs Weihnachtsoratorium bildet auch kein geschlossenes Ganzes, sondern besteht aus einer Zusammenfassung von sechs Kantaten, die er in ihrer Folge genau auf das Jahr 1734/35 abgestellt hat, in dem es keinen Sonntag nach Weihnachten, wohl aber einen Sonntag nach Neujahr gab.
Die Grundlage des Textes zum Weihnachtsoratorium bildet der im Wortlaut beibehaltene biblische Bericht von der Geburt Jesu, von der Verkündigung des Engels an die Hirten, von der Anbetung der Hirten (alle Lukas 2), von der Namensgebung und von den Weisen aus dem Morgenland (beide Matthäus 2).
Tag | Lesung | Oratorium |
1. Weihnachtstag | Lukas 2,1-14 (Geburt, Verkündigung an die Hirten) | Lukas 2,1 u. 2,3-7 |
2. Weihnachtstag | Lukas 2,15-20 (Anbetung der Hirten) | Lukas 2,8-14 |
3. Weihnachtstag | Johannes 1,1-14 (Prolog des Johannesevangeliums) | Lukas 2,15-20 |
Neujahr | Lukas 2,21 (Namensgebung) | Lukas 2,21 |
Sonntag nach Neujahr | Matthäus 2,13-23 (Flucht, Matthäus 2,1-6 nach Ägypten) | Matthäus 2,1-6 |
Am Feste der Erscheinung des Herrn | Matthäus 2,1-12 (die Weisen aus dem Morgenland) | Matthäus 2,7-12 |
Einer bloßen Ansammlung von sechs Kantaten entgeht Bach dadurch, dass er textlich wie musikalisch einheitsstiftende Momente schafft: So legt Bach den Teilen I bis IV den fortlaufenden Text der Weihnachtsgeschichte nach Lukas zugrunde, den Teilen V und VI den Bericht des Matthäusevangeliums. Musikalisch schafft er Geschlossenheit z.B. durch eine Abfolge von Dur-Grundtonarten der einzelnen Teile: D-G-D-F-A-D. Darüber hinaus gibt er seiner Komposition auch einen Rahmen, indem er die Teile I und VI mit D-Dur in der gleichen Tonart komponiert. Fazit: Auch wenn das Weihnachtsoratorium aus sechs Kantaten besteht, wird deutlich, dass er das Werk als zusammengehörig gedacht hat.
Teil I | 1. Weihnachtstag |
Teil II | 2. Weihnachtstag |
Teil III | 3. Weihnachtstag |
Zu den Teilen I-III, die besonders eng zusammengeschlossen sind, verweise ich auf meine Ausführungen zum Weihnachtskonzert 2015.
Nachdem der Städtische Musikverein Paderborn im letzten Jahr die Teile I-III, in denen die eigentliche Weihnachtsgeschichte erzählt wird, aufgeführt hat, stehen in diesem Jahr die Teile IV-VI im Mittelpunkt des Konzerts.
Thomaskirche Leipzig – Hauptkirche des Thomaskantors J. S. Bach
Teil IV – Am Neujahrstag
Nach den drei Weihnachtsfeiertagen (die es zu Bachs Zeiten noch gab), an denen ganz kontinuierlich die vertraute Weihnachtsgeschichte des Lukas Abschnitt für Abschnitt vom Evangelisten-Tenor rezitiert wurde, markiert Teil IV ein Innehalten, bevor dann Matthäus in den Teilen V und VI die Erzählung übernimmt mit den Weisen aus dem Morgenland und Herodes bis zum großen Schluss.
Die vierte Kantate wurde am Neujahrstag, dem Tag der Beschneidung Jesu und seiner Namensgebung, aufgeführt. In mancher Hinsicht nimmt diese Kantate eine Sonderstellung im Gesamtablauf ein, ohne aber aus dessen Rahmen zu fallen: außermusikalisch durch die Kürze des nur aus einem Vers bestehenden Evangeliums, musikalisch durch die Wahl der Tonart und die instrumentale Besetzung: Während Bach für diese Kantate als Grundtonart F-Dur gewählt hat, stehen die anderen Kantaten entweder in der zentralen Tonart des Weihnachtsoratoriums D-Dur (Kantaten I, III und VI) oder in quintverwandten Tonarten (Kantaten II in G-Dur und Kantate V in A-Dur). Bei der Instrumentation setzt Bach sowohl im Eingangschor als auch im Schlusschoral Hörner ein, verzichtet aber auf Pauken und den weit mehr strahlenden Klang der Trompeten.
Mit der Aufforderung des Chores „Fallt mit Danken, fallt mit Loben vor des Höchsten Gnadenthron“ [= Krippe] (Nr. 36) beginnt die Kantate. In dem überwiegend liedhaft, tänzerischen Chorsatz greift Bach Gottes Verheißung programmatisch auf und weitet den Bundesschluss zu einem globalen Ereignis. Mit den Worten „Und da acht Tage um waren“ (Nr. 37) legt der Evangelist (Tenor) eine zeitliche Distanz zum Weihnachtsfest und berichtet von der Namensgebung Jesu, die im Vordergrund dieser Kantate steht. Die Bedeutung des Namens Jesu zeigt Bach, indem er die Melodie des Rezitativs kontinuierlich bis zum Wort Jesu (Spitzenton a2) ansteigen lässt. Im von Sopran und Bass voller Inbrunst gesungenen Duett „Immanuel, o süßes Wort“ (Nr. 38) arbeitet der Text mit zwei verschiedenen Namensvarianten: mit dem alttestamentarischen Immanuel („Gott mit uns“) und der hebräischen Variante Jesus (eigentl. Jeschua, „Gott hilft“). Im Zentrum des vierten Teils steht die effektvolle Echo-Arie des Soprans „Flößt, mein Heiland, flößt dein Namen“ (Nr. 39), in der es um die Angst vor dem Sterben geht, die Jesus nehmen soll. Bach arbeitet beim Echo mit den Möglichkeiten des Kirchenraumes, indem er die Echostimme außerhalb des Chores platziert. Dieses Echo antwortet der gläubigen Seele (Sopran) gleichsam als Stimme des Christuskindes. Neben der menschlichen Echo-Stimme übernimmt auch die Oboe Echo-Funktion. Das Rezitativ Nr. 40 Wohlan, Dein Name soll allein in meinem Herzen, knüpft an das Rezitativ Nr. 38 an und führt seinen Gedankengang zu Ende. Die Frage „Liebster, sage, wie dank’ ich dir“, wird in der schwungvollen, von Koloraturen durchzogenen Tenor-Arie / Fuge „Ich will nur dir zu Ehren leben“(Nr. 41) beantwortet. Den Gegenpart zum Tenor bilden zwei obligate Soloviolinen. Den Schlusschoral „Jesus richte mein Beginnen“ hat Bach als ein lyrisches, von Ritornellen der Hörner und Oboen unterbrochenes Chorstück konzipiert.
Teil V – Am Sonntag nach Neujahr
Die fünfte Kantate und die sechste Kantate bilden eine Einheit, weil als Textvorlage nicht mehr das Evangelium nach Lukas zugrunde liegt, sondern das zweite Kapitel des Matthäus-Evangeliums, in dem von den drei Weisen aus dem Morgenland und ihrer Begegnung mit Herodes berichtet wird. Wie schon in Teil II setzt Bach auch in Teil V auf eine Besetzung ohne Blechbläser. Er setzt in Teil V auf die kleinste Besetzung im gesamten Oratorium, denn neben den Streichinstrumenten und der Continuo-Gruppe finden nur noch die Oboen d’amore I/II Berücksichtigung. Grundtonart des Teils ist die dem D-Dur quintverwandte Tonart A-Dur.
Bach eröffnet den fünften Teil „Ehre sei dir, Gott, gesungen“ (Nr. 43) mit einem glänzend instrumentierten Chorsatz, der Erinnerung an die Jubelchöre aus den Kantaten I und III wachruft. Fröhlich, leicht und heiter, ja tänzerisch kommt der Satz mit seinem schnellen ¾-Takt und seinen schwungvollen Stimmen daher. Seine „hohe“ Tonart – die höchste im gesamten Oratorium – zieht uns in die Höhe, zeigt göttliches Licht. Im folgenden Rezitativ (Nr. 44) berichtet der Evangelist von der Ankunft der drei Weisen in Jerusalem. Das Gespräch des Herodes mit den Weisen aus dem Morgenland, „Wo, wo, wo ist der neugeborene König der Juden?“ (Nr. 45), wird von Bach in einem Chorsatz sehr dramatisch gestaltet. In kurzen Einwürfen des Chores erklingt immer wieder das Wort „Wo?“. Nur von langen Notenwerten der beiden Violinen begleitet, unterbricht ein kurzes Alt-Rezitativ die ungestümen Fragen mit den Worten „Sucht ihn in meiner Brust“. Im Choral „Dein Glanz all Finsternis verzehrt“ (Nr. 46), wird der für diese Kantate thematisch bedeutsame Gegensatz zwischen Hell und Dunkel, zwischen Licht und Finsternis eindrucksvoll hervorgehoben: Die „hohe“ Tonart A-Dur und die Melodieführung lassen zu Beginn hörbar werden, wie der Glanz Gottes die trübe Nacht in Licht verkehrt. Die Schlusszeile „daß dein Gesicht und herrlichs Licht …“ komponiert Bach als wunderbar leuchtenden Höhepunkt. Der Stern im Morgenlande, der die Weisen leitet, (das Bild für den Messias), steht als Symbol für das Licht. Wie häufig verknüpft Bach aufeinanderfolgende Sätze mit gleichen Worten oder Bildern, vertieft aber diese Verbindung, indem er den symbolischen Gehalt ausleuchtet. In dieser Kantate sind es Worte wie Glanz, Licht, Strahlen, erleuchte, die das Bild des Sterns aufgreifen. Die Finsternis, das dunkle Gegenbild dazu, verkörpert König Herodes. Mit der alten Weissagung „Und du Bethlehem im jüdischen Lande bist mitnichten die Kleinste unter den Fürsten Juda“ wendet sich das Rezitativ (Nr. 50) vom Sprechgesang in ein Arioso. Dem Prophetenwort folgt mit dem wunderbaren, inhaltsschweren Terzett (Nr. 51) ein Dialog, in dem die Fragen der sehnsuchtsvoll suchenden Weisen aus dem Morgenlande (Sopran / Tenor „Ach, wann wird die Zeit erscheinen“) von der Mutter Maria (Alt „Schweigt, er ist schon wirklich hier“) beantwortet werden, noch bevor sie beim Christuskind angekommen sind. Eine besondere Rolle spielt die konzertierende Solovioline. Es folgt ein von den beiden Oboen und dem Continuo begleitetes Alt-Rezitativ (Nr. 52), in dem die Stimme des Glaubens wieder zu Wort kommt. Mit dem schlichten vierstimmigen Schlusschoral „Zwar ist solche Herzensstube“ (Nr. 53) taucht noch einmal das Motiv Dunkel / Licht auf: Die „Herzensstube“ zeigt sich als finstre Grube, offenbart Abgründe der menschlichen Seele (s. Herodes). Aber durch den Einfall des göttlichen Gnadenstrahls erscheint sie hell erleuchtet (Sonnen: hier Sterne).
Teil VI – Am Feste der Erscheinung des Herrn
Die Texte der sechsten Kantate beziehen sich auf den Bibeltext Matthäus 2,7-12. Er enthält Teil zwei der Geschichte von den drei Weisen aus dem Morgenland: Die Weisen wollen nun endlich das Kind finden, brechen darum von Jerusalem auf und machen sich auf den Weg nach Bethlehem. Bach wählt für die Kantate Nr. 6 ebenso die Tonart D-Dur wie schon für die Kantate Nr. 1. Das ist keine Überraschung, denn die Symmetrie war für das barocke Denken sehr bedeutsam. Bach gibt dem Werk aber nicht nur durch die Tonart einen Rahmen, sondern auch durch den Rückgriff auf die Trompetenbesetzung des Eingangskomplexes. Neben ihrer Aufgabe, im abschließenden Teil Strahlenglanz zu entfalten, erfüllt der Einsatz der Trompeten zusammen mit den Pauken aber noch eine andere Aufgabe: Seit alters her gelten Trompete und Pauke als „Königsinstrumente“, als Symbol weltlicher Macht. Bach überträgt also Insignien weltlichen Königtums auf den himmlischen König, den „Herrscher des Himmels“ (Jenseits) und „der Erde“ (Diesseits).
Der großartige, kämpferisch klingende, Festigkeit und Glaubenszuversicht ausstrahlende Eingangschor „Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben“ (Nr. 54) erinnert mit den „stolzen Feinden“ unausgesprochen an Herodes. Er nimmt aber expressis verbis verallgemeinert Bezug auf alle Feinde Christi und macht deutlich, dass man ihnen nur durch „festen Glauben“ und damit durch Nähe / Freundschaft zu Jesus entkommen kann. Im Rezitativ (Nr. 55) berichtet der Evangelist vom Gespräch der Weisen mit Herodes, der als Sänger (Bass) erscheint. In dem von Streichern begleiteten Rezitativ (Nr. 56) hält der Sopran Herodes seinen schlechten, verschlagenen Charakter vor („Du Falscher“/ „falsche List“ / „falsches Herz“), macht aber auch deutlich, dass er keinen Erfolg haben wird. Die Sopranistin greift in der Arie „Nur ein Winck von seinen Händen, stürzt ohnmächtger Menschen Macht“ (Nr. 57) den Gedanken des Rezitativs auf und bekräftigt, dass die göttliche Macht der weltlichen überlegen ist. Rhythmik und straffer Ablauf spiegeln göttliche Stärke und göttlichen Triumph. Die besondere Rolle der Instrumente in dieser Arie wird u.a. dadurch deutlich, dass von den 96 Takten mehr als die Hälfte (56) auf Vorspiel, Zwischenspiele und Nachspiel entfallen. Genau im Zentrum der VI. Kantate steht zwischen zwei Rezitativen (Nr. 58 und 60) der schlichte, besinnliche und zurückhaltende Demut ausdrückende Choral „Ich steh an deiner Krippen hier“ (Nr. 59). Er bildet das Gegenstück zu den kämpferischen Tönen des Eingangschores. Wie schon im Choral „Brich an du schönes Morgenlicht“ (Teil II, Nr. 12) verwendet Bach als Zeichen der Erniedrigung Gottes die unter dem strahlenden D-Dur liegende Tonart G-Dur. Bach hat aber nicht nur die Krippenszene mit den drei Weisen ins Zentrum dieses Teils gerückt, sondern mit dem Text von Paul Gerhard auch die zeitliche Distanz zur biblischen Geschichte aufgehoben. Der entscheidende Gedanke des biblischen Berichts wird in die Gegenwart des eigenen Lebens transferiert: Nur wer wie Maria und Josef, wie die Hirten und die drei Weisen an die Krippe kommt und ablegt, was ihn ausmacht (Geist, Sinn, Herz, Seel und Mut), kann in der Begegnung mit Jesus Christus zu einem Mentalitätswechsel kommen. Mit der Weiterführung des unterbrochenen biblischen Textes (Rezitativ Nr. 60) „Und zogen einen andern Weg“, ohne Herodes wieder zu begegnen, endet der Bericht des Evangelisten. Die Siegeszuversicht ausstrahlende h-Moll-Arie des Tenors „Nun mögt ihr stolzen Feinde schrecken“ (Nr. 62) beschreibt im Zusammenspiel mit den Solo-Oboen die Stimmung nach dem Triumph über das Böse. Und nun folgt ein großartiges Finale! Zunächst fragen drei der vier Solostimmen stellvertretend für die Menschheit in einem Rezitativ „Was will der Höllen Schrecken nun, da wir in Jesu Händen ruhn“ (Nr. 63). Nur der Alt (Maria) stellt die im Text vorkommende Frage nicht, sondern singt ausschließlich den zweiten Teil des Satzes „da wir in Jesu Händen ruhn“. Am Ende formulieren alle Stimmen rhythmisch gleich (sogar die Continuo-Gruppe stimmt mit ein) diesen in Bezug auf die Weihnachtsbotschaft wichtigen Satz. Bach baut den Vokalsatz nach und nach auf: Sopran – Tenor – Alt – Bass. Jeder Stimmeinsatz baut sich auf dem Schlusston der vorherigen Stimme auf. Den festlichen Schlusssatz, „Nun seid ihr wohl gerochen“ (Nr. 64 / rochen = rächen), hat Bach als konzertante Choralphantasie komponiert, in die in Unterbrechungen der Choral eingearbeitet ist. Die letzte Choralzeile spricht aus, was die Geburt Christi deutlich gemacht hat: „Bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht.“ Christus hat die Macht von „Tod, Teufel, Sünd und Hölle“ gebrochen. Mit der Tonart D-Dur, einem für Bach typischen „Freudenrhythmus“, dem jubelnden Glanz von Pauken und Trompeten und der Länge, die alle anderen Schlusssätze des Oratoriums übertrifft, sorgt Bach nicht nur für einen festlichen Ausklang des Oratoriums, sondern er schlägt auch einen Bogen zum Anfangschor des sechsten Teils „Herr, wenn die stolzen Feinde schnauben“ (Nr. 54). Mit der Wahl der Melodie des Schlusschorals stellt Bach aber einen viel weitergehenden Bezug her: Für den Text dieses Chorals hat er nämlich wie schon im ersten Choral des Weihnachtsoratoriums „Wie soll ich dich empfangen“ (Teil I, Nr. 5) die Melodie des Passionschorals „O Haupt voll Blut und Wunden“ gewählt . Bach weist also mitten im Weihnachtsgeschehen auf den Kreuzestod, die Erlösungstat Jesu hin und stellt damit das Weihnachtsoratorium in einen größeren Zusammenhang als in den des Weihnachtsfestkreises.
Bruno Bechthold, 22.11.2016
Konzertkritiken
Westfalen-Blatt vom 13.12.2016
Wir bedanken uns bei Juliane Fröhling und der Redaktion für die Rezension und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Neue Westfälische vom 14.12.2016
Wir bedanken uns bei der Redaktion für den Bericht und die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Innige Momente beim Weihnachtsoratorium des Paderborner Musikvereins
Applaus nach der Aufführung: Dirigent Marbod Kaiser, die Nordwestdeutsche Philharmonie und der Chor des Städtischen Musikvereins Paderborn. | © Bernd Werner
Paderborn. Es war ein Gänsehautmoment: Dirigent Marbod Kaiser hatte sich entschieden, den Choral „Ich steh an deiner Krippen hier“ in der sechsten und letzten Kantate von Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium ganz leise und ohne Orchesterbegleitung singen zu lassen. Das ist zwar so vom Komponisten nicht vorgesehen, aber inmitten der prachtvollen Trompetenklänge, von denen die Kantate umrahmt wird, geriet dieser innige Moment zum emotionalen Höhepunkt der Aufführung des Städtischen Musikvereins Paderborn in der Heinrichskirche mit der Nordwestdeutschen Philharmonie. Auf dem Programm standen die Kantaten 4 bis 6 des Oratoriums. Damit setzte der Musikverein sein Konzert vom Vorjahr am selben Ort fort. Damals waren die ersten drei Kantaten erklungen, die in diesem Jahr vor wenigen Tagen in Paderborn ebenfalls zur Aufführung kamen, diesmal jedoch von der Abdinghofkantorei.
Den Solo-Tenor sang Stephen Chambers mit geradezu spielerisch unangestrengter Höhe. Der Neuseeländer, derzeit am Landestheater Detmold engagiert, lässt seine herrliche Stimme in der laufenden Saison oft in Paderborn hören: Im November als Chateauneuf in „Zar und Zimmermann“, im März als David in „Die Meistersinger von Nürnberg“, jeweils in der Paderhalle, im Mai im Theater Paderborn in der Titelrolle von Händels „Jephtha“ und jetzt im Dezember als Solist beim Musikverein und bei „Haste Töne“ in der Heinrichskirche.
Für den Bassisten Julian Orlishausen eingesprungen war Fabian Kuhnen, der schon mehrfach im Dom und auch in der Abdinghofkirche Paderborn zu Gast war, dort zuletzt eben beim Weihnachtsoratorium, Teil 1 bis 3, womit er innerhalb weniger Tage das gesamte Oratorium in Paderborn komplett machte. Die Altistin Evelyn Krahe überzeugte mit profunder Tiefe. Die Solo-Sopranpartie übernahm Hayat Chaoui, das Sopran-Echo steuerte unsichtbar Regine Neumüller bei. Sichere Basis der Aufführung war wie so oft die Nordwestdeutsche Philharmonie, deren Trompeten und Oboen Glanzlichter setzten.
Das Gotteshaus in der Nordstraße entwickelt sich zur bevorzugten Konzertkirche Paderborns: Zwei Tage nach dem Musikverein konzertierte dort der Delbrücker Chor „Haste Töne“ mit dem Sinfonieorchester Paderborn, am vierten Advent folgt der Motettenchor Paderborn mit seinen Gästen wie dem Kinderchor des Städtischen Musikvereins Paderborn und dem Detmolder Blechbläserquartett. Früher sang dort schon die Singgemeinschaft Salzkotten.