05.06.2007, Komponisten: Mussorgski, Verdi, Offenbach
„Schwere Kost“ gab es vor der Pause: Modest Mussorgski übertrug die Stimme des Volkes in der Auseinandersetzung mit Zar Boris dem Chor. Gesungen wurde in russischer Sprache.
Nach der Pause gab es Szenen aus „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach und Szenen aus „La Traviata“ von Giuseppe Verdi. Den feurigen Abschluss bildete der Chor „Im Feuerstrom der Reben“ aus der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß.
Reaktionen aus der Presse
Musikverein gelang zunehmend das „Schwelgen“ in der Opernwelt
Das Opernkonzert des Städtischen Musikvereins in der Paderhalle bot am Dienstagabend vor allem eines: prägnante Kontraste.
Matthias Hellmonns hatte zusammen mit den Partnerchören „Musikverein Oelde“ und „Capella Loburgensis Ostbevern“ ein Programm unter dem vielversprechenden Titel „Schwelgen in der Welt der Oper“ ausgearbeitet. Unter der Moderation von Christoph Gockel-Böhner und der musikalischen Begleitung der Nordwestdeutschen Philharmonie brachte man Szenen aus Opern des 19. Jahrhunderts zu Gehör.
Mit „Boris Godunow“ von Modest Mussorgsky hatte man im ersten Teil ein gewaltiges musikalisches Volksdrama gewählt, bei dem der Chor als Volk und Träger der Handlung fungiert. Doch nicht immer zeigten sich die Sängerinnen und Sänger einheitlich: bereits im Prolog jagte der Chor mit teils nicht homogenen Einsätzen dem agil aufspielenden Orchester davon, fand jedoch spätestens bei der „Revolutionsszene“ durch differenzierte rhythmische Schwerpunktsetzungen zu seiner inneren Mitte. Vor allem die oftmals massive Lautstärke des Orchesters setzte dem Chor bisweilen heftig zu. Als Solisten konnten sich Bariton Markus Krause, Byoung Oh Kim (Tenor), Jae Won Yang (Bass) und Bohyeon Mun (Tenor) hervorragend behaupten. Dennoch fiel der Applaus eher höflich aus.
Der zweite Teil des Abends begann mit Szenen aus „La Traviata“ von Giuseppe Verdi. Chor und Orchester entfalteten in der „Introduzione“ leidenschaftliche Vielfalt und farbiges Wechselspiel. Höhepunkt war aber sicherlich die bühnenreife Vorstellung der 1980 in China geborenen Sängerin Yitian Luan. Mit vibratoreichem, vollmundigem Sopran zog sie die Zuhörer in ihren Bann und erntete nach der „Scena ed Aria Violetta“ verdienten, lang anhaltenden Applaus. Den Abschluss machten Stücke aus „Hoffmanns Erzählungen“ von Jaques Offenbach. Der Männerchor sang schwungvoll „Juvallera! Herr Luther wir sind da“, das Orchester bot in der „Barkarole“ gleitende Melodiebögen, und vor allem Bariton Markus Krause brillierte in der Arie „Leuchte heller Spiegel mir“. Dem Publikum gefiel\’s, und so gab es als Zugabe noch das Champagner-Lied aus der „Fledermaus“.
Westfalen-Blatt vom 7. / 8. Juni 2007
Andrea Auffenberg
Ein Opernfresko gewaltiger Klangmassen
Große Oper im kleinen Oelde: Der Musik-Verein machte mit Hilfe der Rudolf-Haver-Stiftung den Ausnahmefall möglich und bot in Abweichung vom üblichen Programmschema geistlicher Chorwerke ein Konzert mit Szenen aus berühmten Opern des 19. Jahrhunderts.
Der gewohnte Sakralraum war eingetauscht worden gegen die neue Franz-Arnold-Halle der Pott\’s Brauerei, die inmitten hoher Wände von Bierkisten den nüchternen, akustisch aber passenden Rahmen für das Konzert bot, als Matthias Hellmons am frühen Sonntagabend den Auftakt gab. Vorbereitet durch die sachkundige Moderation Christoph Gockel-Böhners vom Kulturamt Paderborn, zogen vor den Ohren der vielen hundert Zuhörer chorisch die jubelnden und verzweifelten, die huldigenden und die aufgepeitschten Volksmassen vorüber, die den Kern von Modest Mussorgskis Volksdrama „Boris Godunow“ ausmachen.
Schon die ersten Takte der Partitur offenbarten alle Genialität der expressiven Musikdichtung, deren Prologe sich aus permanenten Klangballungen zusammensetzen. Keine Schwierigkeit für die an derartige Aufgaben gewohnten Sängerinnen und Sänger vom Musik-Verein Oelde, dem Städtischen Musikverein Paderborn und der Capella Loburgensis Ostbevern in ihrer durch frische junge Stimmen hörbar bereicherten Chorgemeinschaft. Ob im kraftvollen Forte, das sich effektvoll gegen die dröhnenden Tuttischläge des Orchesters durchzusetzen hatte, ob in subtilen Abstufungen oder im Höhenrausch der Chorsoprane — insgesamt gelang die überzeugende Nachzeichnung der bewegenden Geschichte vom falschen Zaren Boris, der durch den Mord am rechtmäßigen Thronfolger in Schuld verstrickt ist und daran zerbricht.
Der pompöse Prolog am Moskauer Jungfrauenkloster, die musikalisch aufwändige Krönungsszene und die asiatische Wildheit aufgeregter Chöre im Revolutionsbild rundeten sich in Hellmons\‘ dynamischer Deutung zu einem Opernfresko von beeindruckenden Dimensionen. Hatte sich bis dahin schon ein Solistenseptett von respektablem Rang in meist kleineren Partien zu Wort gemeldet, so schlug dessen große Stunde, als in Giuseppe Verdis Oper „La Traviata“ glanzvolle Belcantokultur gefragt war.
Einleitend brillierten die irisierenden Streicher der Nordwestdeutschen Philharmonie mit opalenem Glanz, erklang als chorische Herausforderung das schwungvolle Trinklied aus Violettas Ballsaal, ehe Yitian Luan zum solistischen Ereignis geriet. Obwohl durchaus noch Lernende an der Detmolder Musikakademie, bot die junge Chinesin in der Bravour-Arie der todkranken Lebedame mit perlenden Koloraturenketten bis in die Regionen des hohen Es die intensiv-glühende Brillanz ihrer Liedgestaltung auf, die in jeder Phase neu sich vollziehende Synthese von Schönheit, Wahrhaftigkeit, unverbrauchter Kraft und emotionaler Beherrschung eines wahren Stimmwunders. Mit entsprechendem Anspruch sekundierte ihr tenorglänzend Bohyeon Mun als Alfredo.
Leichtgewichtiges Finale
Für den leichtgewichtigen Abschluss sorgten Teile aus Jacques Offenbachs komischer Oper „Hoffmanns Erzählungen“. Hier stellten sich Tenor und Bass der Chorgemeinschaft ohne die sonstige Stütze der Frauenstimmen selbstbewusst ihrer Aufgabe, besangen in Pott\’s Bierkeller den vom Komponisten zitierten Berliner Weinkeller „Lutter & Wegener“ und dialogisierten im Lied von „Klein Zack“ ohne Fehl und Tadel in rhythmischer Sauberkeit mit Bohyeon Mun als phantasierenden Poeten Hoffmann. Das Aha-Erlebnis des instrumentalen Offenbach-„Schlagers“ der Barcarole, die mit sanftem Cellostrich das erotische Flair der Szene untermalt, führte schließlich zu Dappertuttos Spiegelarie. Sie wurde von Markus Krause – eingangs bereits imponierend in der Arie des Zaren Boris – mit warm sich verströmendem Bariton gestaltet.
Mit unbeirrbarem Klangsinn war Matthias Hellmons auf dem Dirigentenpodium den vielfarbigen Programmstrukturen gerecht geworden. Er gab durchgehend volltönendes Maß, verschloss sich nicht den explosiven Gewalten der Partitur und ihren Klangmassen, arbeitete die zündenden Rhythmen der leidenschaftlichen Musik ebenso wie ihre lyrischen Momente überzeugend heraus und fand in der glänzend disponierten Nordwestdeutschen Philharmonie eine gehorsame Gefolgschaft.
Der stehend dargebrachte Beifall in der Franz-Arnold-Halle geriet zu Ovationen und wurde überraschend belohnt: Als Zugabe entließ das temperamentvolle Trinklied aus der Johann-Strauß-Operette „Die Fledermaus“ die rundum begeisterten Zuhörer in den Abend: „Champagner hat\’s verschuldet, tralala!“
Die Glocke (Oelde) vom 4. Juni 2007
Dr. Ulrich Gehre